Tuesday, July 28, 2009

Der nutzlose schwarze BH und das Zwölf-Stufen-Programm zur Volltrunkenheit

Michael und ich waren fünfmal hintereinander die Strasse heruntergefahren. Wir suchten nach David und Linda, unseren Freunden, denen wir eigentlich folgen und die wir aufsammeln sollten, nachdem das GoIn, unsere Lieblingsbar, geschlossen hatte.
Sie waren zehn Minuten vor uns gegangen, um den knappen Kilometer zurück zu Davids Haus zu Fuss zurückzulegen. Sie waren dermassen betrunken, dass sie nicht einmal mehr wussten, wo sie ihr Auto abgestellt hatten. Jetzt waren sie nirgends zu sehen.
Linda hatte vor einem Jahr das Trinken aufgegeben, um ihrem anderen Ich, Otis Campbell, keine Möglichkeit mehr zu bieten, hervorzukommen und sie in der Öffentlichkeit durch extrem peinliche Aktionen lächerlich zu machen. Heute Nacht war Otis rachdurstig zurückgekehrt. Seine Anwesenheit machte sich deutlich bemerkbar, nachdem Linda die ersten fünf Bier getrunken hatte. Schon bevor sie überhaupt einen Fuss in das GoIn gesetzt hatte, hatte sie mit ihren augen gerollt, und sie war bereits ein paar Mal fast umgekippt. Wir sahen, wie sie sich an der Jukebox festhielt, um das Gleichgewicht zu halten, weil sie vor und zurück schwankte und dabei verzweifelt versuchte, ihren Blick auf irgendetwas zu fixieren, während sie gleichzeitig ein paar Münzen in die Jukebox warf, um ihren Lieblingssong zu hören: "Hey Jealousy".
Während sie vor sich hin summte, erklörte sie Michael, dass sie ein magisches Schwangerschaftsfeuerzeug besitzen würde. Wenn es funktionierte und anging, sei sie schwanger. Wenn es nur Funken sprühte, sei sie es nicht. Sie zündete das Feuerzeug und es sprühte nur Funken.
"Mein Freund glaubt, dass er er unfruchtbar ist", lallte sie mit schielenden Augen. "Aber ich habe ihm gesagt: ' Mit Platzpatronen schiessen macht genauso viel Krach, Süsser.' "
Sogar ich schnaubte vor Lachen.
Aber jetzt, um 1:30 Uhr, konnten wir weder Linda noch David finden.
"Wann geben wir die Suche auf und gehen nach Hause, um uns zu Ende zu besaufen?", wollte Michael wissen, weil ihn die ewige Herumfahrerei langsam anödete.
Innerhalb kürzester Zeit hatte ich Michael jedoch davon überzeugt, dass ein betrunkenes Mädchen zwar selten ein hübsches Mädchen sei, dass jedoch der betrunkene Zustand es geradezu herausfordere, es zu fotografieren. Das Warten würde sich auf jeden Fall lohnen.
Es gibt eine bestimmte Reihenfolge von Stufen, die beim Betrinken bewältigt werden müssen, um das Prädikat "Stinkbesoffen" verliehen zu bekommen. Eine chronologische Abfolge von Handlungen, die hundertprozentig garantieren, dass man das volle Spass-Potenzial der Nacht ausnutzt.
Die fröhlich-freche Linda hatte diese Schule mit Auszeichnung (mitsamt Sternchen) abgeschlossen.

Das Zwölf-Stufen-Programm zur Volltrunkenheit
1. Stufe: der Drink ruft
Er bettelt dich an, und du reagierst einfach. Es klingt wie eine gute Idee, es fühlt sich richtig an, aber du beschliesst, nicht zu weit zu gehen.
2. Stufe: Finanzlage
Wenn die Ersparnisse gering sind und du nicht ein komplettes Monatsgehalt durchbringen willst, musst du dich eintscheiden, ob du das Arme-Leute-Besaufen wählst (d.h. auf völlig nüchternen Magen trinken), oder ob du irgendeine Chance siehst, andere Leute für dich bezahlen zu lassen.
3. Stufe: der passende Saufkumpan
Die richtige Begleitung zu finden, ist manchmal etwas schwierig, aber eine gute Wahl ist unbezahlbar. Du musst darauf achten, dass du keinen anfänger aussuchst, weil du dich sonst am Ende unvermeidlich um ihn kümmern und irgendwelche Körperflüssigkeiten aufwischen musst. Andererseits darfst du auch niemanden wählen, der trinkfest genug ist und dir Hot Dogs in die Hose steckt oder deine augen mit Zahnpasta zuzementiert, wenn du das Bewusstsein verloren hast.
4. Stufe: das Klirren der Eiswürfel, das Krachen der Öse
Der erste Schluck, der wundervoll und viel versprechend ist, das erste Lecken der Lippen, gleich einer Taufe der Trunkenheit, die geduldig vor einem liegt. Der Trinker fängt an, sich wohl zu fühlen, er wirft nüchterne Haut ab wie Schuppen, die mit jedem Drink immer grösser werden.
(Die nächsten acht Stufen können schnell aufeinander folgen, oder sogar simultan geschehen!)
5. Stufe: traurige Erinnerungen
"Es ist mir egal, dass ich ihn nackt auf der Couch mit einem anderen Mädchen gesehen habe, ich weiss, dass er mich wirklich gelieb hat. Warum hat er mich verlassen? Warum? Kann mir irgendjemand sagen, warum?" Dies ist die sinnloseste aller zwölf Stufen. Meistens dreht sich das Gespräch um Beziehungen und kann schliesslich zu sehr unklugen Anrufen führen, was letztlich dazu führt, dass du jeden anrufst, mit dem du mal was hattest, weil du felsenfest davon überzeugt bist, jetzt deine Gefühle zeigen zu müssen.
6. Stufe: der Wunsch, sich auszuziehen und dass Fremde doch bitte dasselbe
tun mögen
Der Auszieh-wunsch kommt meist nach den anrufen, wenn man sich wieder eine Abfuhr geholt hat.
7. Stufe: Mathematik
Du fängst an, dir auszurechnen, wie viele Stunden dir noch bleiben, bis du wieder voll funktionsfähig sein musst. "Ich kann 15 Minuten länger schlafen, wenn ich die Dusche weglasse", "ich werde die gleichen Klamotten tragen wie jetzt. Auf diese Weise muss ich keine Zeit damit verschwenden, nach sauberer Wäsche zu suchen."
8. Stufe: die 'Kurz-vor-Zapfenstreich-Bestandsaufnahme'
Eine schnelle Abschätzung der Lage bringt dich zu dem Schluss, dass du, egal wie viel Alkohol du schon konsumiert hast. unbedingt noch mehr haben musst, weil es noch nicht reicht. Und zwar SOFORT, weil dies die wichtigste Mission deines Lebens ist.
9. Stufe: Lass uns mal was essen
Ein kleiner Abstecher zu einem Drive-In, weil du viel zu betrunken bist, um in einem Restaurant zu sitzen. Auto fahren kannst du natürlich noch. Du kaufst Fastfood im Wert von 50.- Fr., das du aller Wahrscheinlichkeit nach noch vor Sonnenaufgang in leicht veränderter Form wieder von dir geben wirst. In diesem Stadium wirst du Sachen essen, die du normalerweise nich einmal deinem Hund zu fressen gibst, wie zum Beispiel Mikrowellen-Burger oder drei Burger zum Preis von einem.
10. Stufe: Ich fühle mich gut in meiner Haut
Du bist geistreich. Du fängst an, dich hübsch, sexy und superschlank zu fühlen. Jetzt willst du wirklich nackt sein, und du findest, so ziemlich jeder Mensch sieht gut aus. Du denkst nicht lange darüber nach, ob du einem Wildfremden deine Zunge in den Hals schiebst, selbst wenn hundert Leute zusehen. Es kann dir passieren, dass du den Wunsch verspürst, bestimmten Personen zu erzählen, dass du sie liebst, und dies ist ein absolut sicheres Zeichen dafür, dass du lieber nach Hause gehen solltest.
11. Stufe: Unsichtbarkeit
Du glaubst, dass du unsichbar bist und du Dinge tun kannst, für die es später keine Zeugen geben wird, beispielsweise in die Büsche pinkeln oder in den Rinnstein / Mülleimer kotzen. In diesem Zustand wirst du dich nicht mehr daran erinnern können, was du zuletzt gesagt hast, oder du wirst beschliessen, dass die Strasse ein wundervoller Ort ist, um sich kurz hinzulegen.
12. Stufe: die Pausenschleife im Hirn
Du bist zu keiner Kommunikation mehr imstande. Vielleicht kannst du gerade noch mit dem Kopf schütteln. Die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, hat sich in Luft aufgelöst. Das Gleiche gilt für dein gesamtes Geld, die Funktionsfähigkeit deiner Gliedmassen und, Gott sei's gedankt, dein Bewusstsein.
Als wir David endlich auf der Strasse sitzend fanden, hatte er Stufe 10 erreicht.
"Wir haben uns vor euch versteckt", kicherte er, als er in das Auto einstieg. "Wir haben euch fünf Mal die Strasse runterfahren sehen. Sind wir nicht gut im Verstecken?"
Ich war sauer. "Wo ist die andere Hälfte der Idioten-Zwillinge?", fragte ich.
"Ich habe keine Ahnung", antwortete er. "Ich hab sie verloren."
"Du hast Linda verloren?"
"Ja. Sie dachte, wir wären in der richtigen Strasse und fing an zu laufen, na ja, sie hat's zumindest versucht. Sie ist ziemlich oft hingefallen", meinte er. "Ich glaube nicht, dass wir sie finden werden. Ich wette, sie versteckt sich immer noch."
Ich fuhr die Strasse rauf. Ich fuhr die Strasse runter. Wir konnten sie nicht finden. Eine ganze Dreiviertelstunde kurvten wir in der ganzen Gegend herum, sahen hinter Sträuchern, Zäunen und Autos nach. Wir fragten verschiedene Leute, ob sie ein betrunkenes Mädchen gesehen hätten, und gingen ihren Hinweisen nach.
Wir fuhren zurück zu der Strasse, in der David sie verloren hatte, und hielten nach ihr Ausschau.
"Halt an", sagte Michael plötzlich. "Da isst sie. Sie sollte sich vielleicht doch lieber ihr Shirt wieder anziehen."
Ich dachte, er würde einen Scherz machen. Ich betete, dass es nur Spass war. Aber als ich aus dem Wagen stieg und zu Michael hinüberging, sah ich Linda, die wie eine Tote in irgendeinem Vorgarten lag, in einer verödeten Landschaft, oben ohne. Das Einzige, was sie oberhalb der Taille noch anhatte, war ein schwarzer BH, der auch nicht mehr ganz dort sass, wo er sitzen sollte.
"Jetzt erinnere ich mich", bemerkte David. "Sie hat dauernd gesagt, dass ihr heiss ist."
Da Linda mindestens ihr Körpergewicht an Bier verkonsumiert hatte und aussah wie ein Sandsack mit Armen und Beinen, mussten wir alle drei anpacken, um die kleine Meerjungfrau hoch genug zu heben, dass sich ihre Brüste wieder verpacken konnte. In ihrem Rücken steckten kleine Schottersteine.
Das hier war weitaus schlimmer als damals, als sie einmal in einer Bar in ihre Handtasche gekotzt hatte und wir dafür rausgeschmissen worden waren. Es war auch schlimmer als das eine Mal, als ich sie in einer Bar verloren und sie dann eine Stunde später bewusstlos auf meiner Kühlerhaube wiedergefunden hatte. Mein Wagen stand damals direkt vor dem Haupteingang der Bar, und ein paar Jungs waren gerade dabei, Steine nach ihr zu werfen. Auch folgendes Ereignis reichte nicht an das heutige heran: Sie hatte in einer anderen Bar getanzt , war zu nah an den Rand der Bühne geraten und ins Schlagzeug gefallen, wobei sie es vollkommen zerstört hatte. Und diese BH-Geschichte war mit Sicherheit auch weitaus schlimmer als der Tag, an dem sie zu einer Party im Haus der Eltern ihres damaligen dänischen Freundes gegangen war und die anderen dänischen gäste angeschrien hatte: "Shmorgedy borgedy norgedy! Wir sind hier in der Schweiz Leute, also redet verdammt noch mal Deutsch!!" Als der Freund versuchte, das letzte bisschen Ehre, das die beiden noch besassen, zu retten, schmiss er sie wie einen Mehlsack über seine Schulter, um gleich darauf das entsetzte Stöhnen von siebzig Dänen zu vernehmen, die Zeuge wurden, wie sich das schweizerische Mädchen bepinkelte.
Heute Nacht jedenfalls hatte sie den Doktorgrad im Volltrunkenheitsprogramm erlangt. Zweifellos hatte sie den Rahmen des Spass-Potenzials nicht nur voll ausgeschöpft, sie hatte ihn regelrecht GESPRENGT.
Und die Moral von der Geschicht....na ja....ich hab vergessen wo die ist.